1.
Reise ROS 403
Meine 1. Reise auf dem Z-Trawler Hanno Günther
von Februar bis Mai 1970
Am Auslauftag meldete ich mich als "Mitnehmer" beim Chief auf ROS 403 an und wurde sofort zu den
üblichen Ausrüstarbeiten eingeteilt. Mein Gepäck sollte ich erst einmal in die Maschinistenkammer
stellen. Abends war das Ausrüsten beendet, die "Gesichtskontrolle" der Grenztruppen fand in der Messe
statt und der Lotse kam an Bord. Die Reise begann.
Für die Wachhabenden war "Revierfahrt" und auch ich war beim Auslaufen noch im Maschinenraum
beschäftigt. Nach der Revierfahrt fragte ich den Chief in welche Kammer ich ziehen soll. Der Chief
fragte den 1. NO und es stellte sich heraus, dass keine freie Koje für mich vorhanden war. Man legte fest,
dass ich in der Kammer des 1. und 2. TO auf der "Ducht" schlafen soll. Ducht war im Sprachgebrauch
die gepolsterte Sitzbank an der Back (Tisch) der Kammer. Seemännisch richtig ist es aber die
"Backskiste". Duchten sind die Bänke, die von einer Bordwand zur anderen in kleinen Booten reichen.
Die Bewohner der Kammer und auch ich waren von dieser Lösung alles andere als erfreut. Den Namen
des 1. TO kenne ich nicht mehr, aber der 2. TO war Siegfried Grunewald, der später als Chief auf ROS
317 fuhr. Da die Einquartierung nur etwa 14 Tage dauern sollte, beruhigten sich die Gemüter wieder ...
Ich bekam Bettzeug und bezog den gepolsterten, mit Kunstleder bezogenen Deckel der Backskiste mit
einer Wolldecke und Laken. Die Backskiste befand sich an der Backbordseite der Kammer in
Längsrichtung des Schiffes. Beim Überholen (Schaukeln) des Trawlers hatte ich Mühe auf der Kiste zu
bleiben und flog dann schlafend unter die Back. Wir stellten deshalb 2 Koffer hochkannt zwischen Kiste
und Back und ich konnte nun besser schlafen.
Als wir den Fangplatz Labrador erreicht hatten ging ich auf die Brücke und erkundigte mich wann ich
mich zum Übersteigen auf ROS 208 bereit halten sollte. Der 1. NO teilte mir dann die Hiobsbotschaft
mit, dass ROS 208 einen Elektriker an Bord hatte und dort kein Interesse bestand mich zusätzlich zu
übernehmen. Kapitän Volker Zirzow und Chief Karl-Heinz Arlt schlugen mir nun vor auf ROS 403 zu
bleiben. Da vorerst kein Schiff auf Heimreise ging, hatte ich auch keine andere Wahl. Die nächsten
Ereignisse der Reise wirkten sich aber als "Entschädigung" für die unbequeme Unterbringung nur noch
zu meinen Vorteil aus ...
Wachdienst hatte ich vier Stunden beim 1. TO als M-Assi und vier Stunden in der Chief Wache, in der
ich auch bei E-Arbeiten dem E-Meister zugeteilt war. Nach etwa drei Wochen Fischerei fiel der
Gienwindenmotor mit Erdschluß aus. Eine Reparatur des Motors war auf See nicht möglich. Wir liefen
zum Motoraustausch den Hafen von Sankt Johns Neufundland an und ich kam dadurch zum 2. Mal ins
Ausland. Ich kann mich nicht erinnern, ob wir den Austauschmotor zum Wechseln vom Fangplatz
mitgenommen hatten oder ob ein Motor nach St. Lohns geliefert wurde. Der Motorwechsel wurde von
zwei Monteuren einer kanadischen Firma ausgeführt. Anschließen und in Betrieb nehmen sollten wir den
Motor selbst. Auf der Fahrt zum Fangplatz haben wir vor dem Anschluß der Zuleitungen am Motor
vorsichtshalber die Isolationswerte der Motorwicklungen gemessen. Die I-Werte hatten Null-Mega-Ohm
und der E-Meister weigerte sich wegen Gefahr eines Wicklungsschadens den Motor einzuschalten.
Die I-Werte mussten erst aufgebessert werden. Mit der Unterbringung von zwei 500 Watt-Glühlamgen
im Lüfterschacht des Motors versuchte der E-Meister die Wicklungen zu erwärmen. Bei außen
Temperatur unter Null war auch Stunden später kein Erfolg zu messen. Ich machte den Vorschlag die
Wicklungen mit Gleichstrom über den Schweißumformer zu trocknen. Der E-Meister wehrte ab und
wollte so etwas nicht verantworten. Morgens beim Wachkaffee fragte mich der Chief, wie man die
Trocknung mit dem Umformer machen könnte. Ich erläuterte ihm, dass der Motor mit Gleichstrom nicht
drehen würde und bei etwa 25 % vom Nennstrom könnte nichts passieren. Er war skeptisch, aber holte
mir die techn. Unterlagen des Motors (Test). Im Test des Motors stand der Drahtquerschntt der Wicklung.
Cu-Draht hatte ich zwar keinen, aber aus mehreren Messingdrähten stellte ich nun ungefähr den
Wicklungsquerschnitt zusammen. Die Drähte spannte ich nun in den Schraubstock der
Maschinenwerkstatt, klemmte auf die Enden die Schweißzange, schaltete den Umformer ein und
regulierte den Strom auf 25 % Nennstrom ein. Nach einer halben Stunde holte ich den Chief in die
Werkstatt und meinte er soll mal fühlen, wie warm die Drähte sind. Sie waren handwarm und ich hatte
ihn zum Durchführen der Trocknungsaktion überzeugt. Die Trocknung des Motors war erfolgreich und
wir konnten die Fischerei am Fangplatz fortsetzen.
50 Jahre nach dieser Reise kann ich nun ein Geheimnis meiner Backskiste lüften:
Nach dem Motto: „Man muss nicht immer alles wissen, aber man muss wissen wo etwas geschrieben
steht!" Ich hatte seit meiner 2. Reise immer ein altes Fachbuch (Ausgabe 1959) siehe Foto im Seesack
dabei. Dort war die Trocknung mit Gleichstrom beschrieben.
Auf der nächsten Seite berichte ich von einem Ereignis, dass die Besatzung von
ROS 403 "Hanno Günther" 1970 unerwartet überraschte ...
Fotos vom
Fangplatz
Labrador
Fotos vom
Sankt Johns
Neufundland